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Kurz vor der politischen Sommerpause beschloss das Bundeskabinett einen Regierungsentwurf für das sog. Finanzstabilisierungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Prof. Dr. Dennis Häckl, Juniorprofessor für Health Economics and Management am Institut für öffentliche Finanzen und Public Management der Universität Leipzig, ordnet den von vielen Akteuren im Gesundheitswesen kritisierten Entwurf ein.

Anlass und wesentliche Eckpunkte des Kabinettsentwurfs

In den letzten Jahren zeigte sich verstärkt ein Auseinandertriften der Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), das maßgeblich durch staatliche Eingriffe wie eine Erhöhung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds ausgeglichen wurde. Momentan gehen Schätzungen von einer Finanzierungslücke der GKV in Höhe von 17 Mrd. Euro für das Jahr 2023 aus. Eine Schließung dieser Lücke rein über Einnahmen der GKV würde ca. eine Verdopplung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von momentan 1,3% auf über 2,5% in 2023 erfordern. Die Bundesregierung bekannte sich im Koalitionsvertrag 2021 „zu einer stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Im aktuell vorliegenden zweiten Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes wird vom Bundesgesundheitsminister ein Finanzierungsmix dargestellt. Dieser sieht zwar eine deutlich geringere Erhöhung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes um voraussichtlich 0,3 Prozentpunkte vor (geschätzte zusätzliche Einnahmen i.H.v. 5 Mrd. Euro), benötigt jedoch auf der Einnahmenseite weitere Maßnahmen zu Lasten der GKV. So sollen die Finanzreserven der Krankenkassen von 0,8 auf 0,5 Monatsausgaben gesenkt (= 4 Mrd. Euro) sowie die Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds von 0,5 auf 0,25 Monatsausgaben (= ca. 2,4 Mrd. Euro) reduziert werden. Somit werden aus dem Abbau der Reserven ca. 6,4 Mrd. Euro erwartet, wobei die genaue Höhe aus dem Abbau der Liquiditätsreserve noch vom Überschuss des Gesundheitsfonds in 2022 abhängt. Zudem soll ein Bundesdarlehen i.H.v. 1 Mrd. Euro an den Gesundheitsfonds geleistet werden (wenn der Gesundheitsfonds unter die Mindestreserve fällt) sowie ein ergänzender Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds um 2 Mrd. Euro erfolgen (Erhöhung des Bundeszuschusses aus Steuermitteln auf 16,5 Mrd. Euro).

Auf der Ausgabenseite sind die größten Effekte im Arzneimittelbereich zu erwarten: so wird u.a. eine einjährige Erhöhung des Herstellerrabatts insbesondere bei patentgeschützten Arzneimitteln, eine Erhöhung des Apothekenabschlags sowie eine Verlängerung des Preismoratoriums bei Arzneimitteln bis Ende 2026 im Kabinettsentwurf angestrebt. Hiermit sollen ca. 3 Mrd. Euro eingespart werden.

 

Bewertung

Die erwartete Finanzierungslücke der GKV ist auf eine unterschiedliche Dynamik der Ausgaben und Einnahmen zurückzuführen, was primär nicht von den Krankenkassen selbst verschuldet ist. Die Ausgaben der GKV haben sich bspw. durch Gesetze der Vorgängerregierung wie das Terminservice- und Versorgungsgesetz oder das Digitale-Versorgungs-Gesetz recht dynamisch entwickelt. Effizienzpro-bleme in der Gesundheitsversorgung, Möglichkeiten der Digitalisierung oder die Überwindung sek-toraler Grenzen wurden nur unzureichend angegangen, stattdessen wurden Symptome der Systemmängel mit zusätzlichen Ausgaben der GKV “behandelt“. Neben den Gesetzen der 19. Legislaturperiode ist die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen, deren Umfang durch die Covid-19-Pandemie nochmals zunahm, zu nennen. Aufgrund des Wachstums der versicherungsfremden Leistungen, die nicht zum eigentlichen Auftrag der GKV gehören, ist eine zunehmende Steuerfinanzierung über eine Dynamisierung des Bundeszuschusses geboten.  

Die Einnahmen der GKV nehmen hingegen mit einer geringeren Dynamik als die Ausgaben zu, was bereits zwischen den Jahren 2010 bis 2020 beobachtbar war und sich nun aufgrund möglicher konjunktureller Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und des Ukraine-Kriegs verschärfen könnte.

Grundsätzlich fällt auf, dass die bereits von der Vorgängerregierung erfolgten Eingriffe in die Finanzautonomie der Krankenkassen wie das Abschmelzen der Finanzreserven auch von der aktuellen Regierung fortgesetzt werden. Dies könnte einerseits Fehlanreize hinsichtlich des effizienten Mitteleinsatzes bei Krankenkassen auslösen. Andererseits könnten gerade bei kleineren Krankenkassen Ausgaberisiken diese Reserven übersteigen und somit ein Insolvenzrisiko darstellen. Zum Schutz der letzteren sieht der Entwurf einen Freibetrag in Höhe von 3 Mio. Euro vor. Weiterhin fällt auf, dass der Bundeszuschuss inklusive des ergänzenden Bundeszuschusses geringer ist als in den Jahren 2020 bis 2022. Das Zusammenspiel dieses geringeren Anstiegs des ergänzenden Bundeszuschusses mit der Etablierung des neuen Instruments eines Bundesdarlehens und des Rücklagenabbaus sowohl bei Krankenkassen als auch beim Gesundheitsfonds deutet daraufhin, dass die Regierungskoalition zumindest für das Gesundheitswesen staatliche Ausgaben nicht erhöhen möchte. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass durch den Zuwachs versicherungsfremder Leistungen staatliche Aufgaben in die GKV zu Lasten der Beitragszahlenden verschoben werden. Letztlich zeigt sich eine hohe Abhängigkeit der GKV von politischer Einflussnahme, die aufgrund des zunehmenden Insolvenzrisikos bei kleineren Krankenkassen auch verstärkt Einfluss auf den Wettbewerb der Krankenkassen haben könnte.

 

Alternativen und Ausblick

Die im Kabinettsentwurf vorgesehene Lösung betrifft insbesondere die gesetzlichen Krankenkassen bzw. die Beitragszahlenden. Mit Blick auf den Koalitionsvertrag fällt auf, dass zwei der dort vorgesehenen Lösungen momentan noch ausgeklammert sind: eine Dynamisierung des Bundeszuschusses zum Gesundheitsfonds sowie die Finanzierung höherer Beiträge für Bezieher:innen von Arbeitslosengeld II. Beide Maßnahmen bedingen wiederum einen höheren Einsatz von Steuermitteln.

Entlastend für die Ausgaben der GKV hätte auch eine Absenkung der Mehrwertsteuer von 19% auf 7% bei Humanarzneimitteln umgesetzt werden können, wie dies beispielsweise bei Tierarzneimitteln erfolgt. Dies würde wiederum aufgrund der geringeren Steuereinnahmen zu einer höheren Belastung des Staatshaushalts beitragen. Im europäischen Vergleich bilden Deutschland, Dänemark und Bulgarien mit der Veranlagung des vollständigen Steuersatzes auf verschreibungspflichtige Arzneimittel eher eine Ausnahme, während Länder wie Frankreich oder Schweden derartige Arzneimittel fast bzw. vollständig von der Mehrwertsteuer befreit haben.

Ausgabenseitig wurden zwar einige der auch im Koalitionsvertrag angedeuteten Stellhebel adressiert, jedoch fehlt dem Kabinettsentwurf das Ziel einer größeren Strukturreform. Wichtig hierbei ist, dass ausgehend von einem Zielbild eine politische Lösung erarbeitet wird, die auch zum Problem passt und nicht nur an Symptomen ansetzt. Zu begrüßen ist daher die Arbeit der Regierungskommission für Krankenhausreformen, auch wenn hierdurch kurz- bis mittelfristig keine finanzielle Wirkung für die GKV zu erwarten ist. Weiterhin müsste die Etablierung eines modernen Vergütungssystems im ambulant-ärztlichen Bereich angegangen sowie die sektorübergreifende Versorgung etabliert werden.