Die Energiewende stellt Markt und Netz auf die Probe: Strom aus Wind und Sonne soll besser genutzt werden. Aktuell sind allerdings noch nicht alle Mitspieler entsprechend in das Energiesystem einbezogen. In Kooperation mit GridLab haben wir unsere Markt- und Netzmodelle in den Systemzustand des Jahres 2030 versetzt. Dadurch konnten wir plausible Szenarien untersuchen und Rückschlüsse auf den künftigen Bedarf an Flexibilität ziehen.
Laufzeit: 012.2016 - 03.2021
Mittelgeber: BMWI Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
Beteiligte Organisationseinheiten der UL: Energiemanagement und Nachhaltigkeit
WindNODE: Das Schaufenster für intelligente Energie aus dem Nordosten Deutschlands
Hintergrund
Das Energiewirtschaftsgesetz grenzt den Netzbetrieb und das Marktgeschehen streng voneinander ab. Der Strompreis auf den Großhandelsmärkten spiegelt Angebot und Nachfrage wider und soll regulatorisch in seiner Höhe nicht beschränkt werden. Deshalb enthalten solche Preise keine Anreize dafür, dass sich Anlagenbetreiber und Stromkunden netzdienlich verhalten und physikalische Beschränkungen der Netzinfrastruktur einhalten. Bei absehbaren Verletzungen der technischen Restriktionen, sichern die Netzbetreiber den Netzbetrieb durch den Einsatz von Systemdienstleistungen (SDL) ab, u. a. im Rahmen des Engpassmanagements mit konventionellen Kraftwerken. Im Extremfall müssen zum Beispiel auch Windkraftanlagen abgeschaltet werden. Da sich der Marktanteil sowie die lokale Verfügbarkeit von steuerbaren Kraftwerken in den kommenden Jahren sukzessive reduziert, müssen in Zukunft zunehmend die erneuerbaren Energien und sogenannte nicht-konventionelle Flexibilitätsoptionen, wie beispielsweise Batteriespeicher, Lastmanagement sowie Power-to-X-Anlagen die SDL bereitstellen. Die Eingriffe der Netzbetreiber in die marktorientierten Fahrpläne der Kraftwerke und die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten sind in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen. Neben den steigenden Kosten sind auch die nicht in das Netz integrierbaren Grünstrommengen im Umfang von einigen Terawattstunden (TWh) ein Grund dafür, über geeignete Gegenmaßnahmen nachzudenken.
Projektziel
Welche Gründe für Netzengpässe gibt es heute und wie ist die Entwicklung bis zum Jahr 2030 zu beurteilen? Lässt sich daraus ein Bedarf für den Einsatz von netzdienlicher Flexibilität ableiten? Aus welchen technischen Optionen soll die Flexibilität bereitgestellt werden? Welche Rolle spielt dabei der Peer-to-Peer-Handel mit Strom?
Ansatz
Flex-Atlas: Zunächst wurde die Frage beantwortet, wie viel Flexibilität heute schon in der WindNODE-Region zur Verfügung steht. Die Datenbasis umfasst öffentliche Datenbanken sowie eigene Recherchen und gliedert sich in die Flex-Typen erstens Klassische Letztverbraucher (DSM), zweitens Erzeugungsanlagen, drittens Energiespeicher sowie viertens Power-to-X-Anlagen. Den größten Beitrag zum technischen Flexibilitätspotenzial leisten die konventionellen und regenerativen Erzeugungsanlagen. Mit Blick auf den Bedarf an negativer Flexibilität (Stromsenken), insbesondere für das Netzengpassmanagement, ist das Abregeln von Wind und PV aus klimapolitischen Gesichtspunkten nicht wünschenswert. Alternativ stünde derzeit ein Mix aus den Flexibilitätsoptionen KWK-Anlagen, Pumpspeicher, Power-to-Heat, Biomasse und Lastmanagement bereit.
Flex-Bedarf: Die Nachfrage nach Flexibilität kann unter Anderem aus Preisdifferenzen auf den Großhandels- märkten (day ahead, intraday) sowie aus der Vorhaltung von Systemdienstleistungen resultieren. Die Kopplung des deutschen Marktgebietes mit anderen europäischen Preiszonen führte in den letzten Jahren trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu einer Glättung von Preisspitzen. Dadurch sank auch der Wert für den Einsatz kurzfristiger Flexibilität. Auf Basis der Kraftwerksverfügbarkeit des Netzentwicklungsplans und der Annahme eines ambitionierten Fahrplans für den Kohleausstieg, könnten sich insbesondere in den Wintermonaten Knappheitssituationen (Dunkelflauten) von mehreren Wochen einstellen. Hierdurch steigt hauptsächlich der Bedarf an positiver Flexibilität (Stromzuschaltungen bzw. Lastabwurf). Auch in den übrigen Stunden des Jahres sind steigende Preisdifferenzen zu erwarten, die zu einem höheren Deckungsbeitrag gegenüber dem Status quo führen. Wird die Umsetzung aller Ausbaumaßnahmen des Netzentwicklungsplans vorausgesetzt, entsteht bis 2030/35 praktisch ein engpassfreies Netzgebiet. Die Aktivierung von Flexibilität, zum Beispiel über eine lokale Marktplattform, würde sich auf Ausfallereignisse größerer netztechnischer Anlagen bzw. die im Energiewirtschaftsgesetz vorgesehene Spitzenkappung beschränken. Ein erhebliches Potenzial ist allerdings dann zu erwarten, wenn es bei der Umsetzung des Netzentwicklungsplanes zu Verzögerungen kommt. Durch das novellierte Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG-Novelle) können Anlagen bereits ab einer Leistung von 100 kW zur Bereitstellung von Flexibilität im Rahmen des Engpassmanagements verpflichtet werden. Damit sinkt das Potenzial möglicher Anlagen, die über eine Marktplattform zusätzliche Erlöse aus netzdienlicher Flexibilität generieren könnten.
Labchain: Existierende Lösungsansätze für P2P-Märkte sind oftmals durch einzelne, konkrete Markt- und Systemdesigns gekennzeichnet – eine umfassende Forschungsinfrastruktur für die experimentelle Energiewirtschaftsforschung ist nicht vorhanden. Deshalb wurde ein virtuelles Testlabor entwickelt, das eine Benutzerinteraktion mit einer offenen Datenschicht und einer Blockchain von Fraunhofer FOKUS für die Verbriefung von Geboten und Verbindlichkeiten verbindet. Dies ermöglicht den Teilnehmenden des Experiments den (simulierten) Betrieb von Anlagen sowie den Handel auf flexibel gestaltbaren simulierten Märkten. Hierdurch lassen sich vielfältige System- und Marktkonstellationen untersuchen, die Einsichten in das Design zukünftiger P2P-Märkte geben.
Showroom: Wie werden die Dispatcher in einer Leitwarte das Stromnetz des Jahres 2030 sicher betreiben können? Welche Werkzeuge werden dafür in der Leitwarte benötigt? Inwieweit wird Flexibilität aus den Verteilnetzen zum Netzengpassmanagement beitragen? Und welche Rolle werden dabei marktorientierte Lösungen spielen? Diesen Fragen stellte sich ein Team aus Experten der Universität Leipzig und von GridLab in der Diskussion mit Fachbesuchern am Standort Schönefeld sowie in Webinaren.
Nutzen
Der geplante Netzausbau und die durch die NABEG-Novelle zu erwartende Ausweitung der zur Netzdienlichkeit verpflichteten Anlagen schränkt den Bedarf für die Nutzung einer regionalisierten Marktplattform durch den Übertragungsnetzbetreiber deutlich ein. Bisher in der Regulierung des Engpassmanagements weitgehend vernachlässigt wurde jedoch die Integration flexibler Lasten wie beispielsweise klassische industrielle Letztverbraucher aber auch Power-to-X-Anlagen. Ein rechtzeitiger Beginn der Identifikation dieser nachfrageseitigen Potenziale auf einer Marktplattform könnte einen Mehrwert für die Netzplanung sowie die generelle Versorgungssicherheit darstellen – vor allem dann, wenn es zu Verzögerungen in der Umsetzung des Netzausbaus kommt. Die Möglichkeit, lokale Preissignale zu bestimmen, könnte auch eine Investitionsdynamik und damit verbundene Kostensenkungseffekte für Technologien auslösen, die im Rahmen einer umfassenden Energiewende systembedingt benötigt werden. Zudem wären flexible Lasten in der Lage, im Rahmen des Engpassmanagements einen CO2-neutralen Bilanzausgleich zu gewährleisten.
Titel des Teilarbeitspakets: Neues Marktdesign und Ausgestaltung der „gelben Ampel-Phase“
Förderkennzeichen: 03SIN540
Kooperationspartner: DNV GL Energy Advisory GmbH – Gridlab, Mittelstraße 7, 12529 Berlin – Schönefeld / Airport