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Von Prof. Dr. Erik Gawel

Ottokraftstoffe mit einem Bioethanolgehalt von zehn Prozent sollen ab diesem Jahr in Deutschland helfen, die Klimabilanz des Verkehrssektors zu verbessern und damit zugleich die Vorgaben der EU zu erfüllen, die eine höhere Beimischung von Ethanol zum Standardkraftstoff bis 2020 verpflichtend vorschreibt. Die Einführung der neuen Kraftstoffsorte ist durch „Abstimmung mit der Zapfsäule“ seitens der Nachfrager zum Fiasko geraten. Grund genug, die grundsätzliche klimapolitische Strategie neu zu beleuchten.

Der Verkehrssektor ist in der EU für ca. 20 % aller energetischen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Während in allen anderen Sektoren seit 1990 Einsparungen erzielt werden konnten, steigen Emissionen im Verkehr EU-weit unvermindert an. Der Verkehrssektor gilt als „klimapolitisches Sorgenkind“. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die politisch forcierte Nutzung von Agrarkraftstoffen – neben Effizienzsteigerungen stellen sie kurzfristig die wohl einzig politisch machbare Option dar, Emissionen im Verkehr signifikant zu senken. Gleichzeitig kann auf der vorhandenen Infrastruktur der Mineralölindustrie aufgebaut werden, und Änderungen im Nutzerverhalten sind nicht notwendig.

Der tatsächliche Klimaschutzbeitrag von „Biokraftstoffen“ ist jedoch stark von den eingesetzten Substraten und deren Anbaubedingungen abhängig: Werden zum Anbau von Energiepflanzen kohlenstoffreiche natürliche oder extensiv genutzte Vegetationssysteme umgebrochen, so werden beträchtliche Mengen an Treibhausgasemissionen freigesetzt, die den Klimaschutzbeitrag auf Jahrzehnte zunichtemachen können. Auch die Verdrängung anderweitiger landwirtschaftlicher Produktion in solche Gebiete ist problematisch – indirekte Landnutzungseffekte lassen sich jedoch nur schwer quantifizieren, und tragen so zur Unsicherheit über die Klimabilanz von Biokraftstoffen bei. In der EU wird für E10 nur Bioethanol akzeptiert, das mind. 35 % THG-Einsparungen verspricht. Bioethanol aus deutscher Erzeugung reduziert nach Schätzungen derzeit um ca. 50 %, allerdings sind Anbauflächen in Europa begrenzt, so dass nichtnachhaltige Importstrukturen besorgt werden.

Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob der Einsatz von Agrarkraftstoffen zum Klimaschutz effizient ist, also eine der kostengünstigsten Möglichkeiten zur Verminderung von THG-Emissionen darstellt? Die Antwort lautet: Nein! Bis auf wenige Ausnahmen werden „Biokraftstoffe“ auf absehbare Zeit ohne politische Förderung nicht mit fossilen Energieträgern konkurrieren können. Dabei sind Subventionen und Gesamtkosten pro vermiedener Tonne an Treibhausgasemissionen verglichen mit anderen Optionen sehr hoch (BDI-Studie für 2020: 132-322 EUR/t CO2Äq). Damit sind Biokraftstoffe als Klimaschutzinstrument völlig ineffizient.

Die übrigen im Zusammenhang mit Agrarkraftstoffen genannten politischen Ziele tragen jedoch nicht: Neben dem Klimaschutz soll eine Erhöhung der Versorgungssicherheit und die Förderung ländlicher Räume Zielstellung der Bioenergiepolitik sein. Die Prioritäten zwischen diesen durchaus widersprüchlichen Zielsetzungen sind freilich unklar, was sich in der Ausgestaltung der Instrumente widerspiegelt. Die Existenz von Zielkonflikten macht eine Verständigung über die Zielhierarchie zu einer zwingenden Voraussetzung für eine kohärente Förderstrategie. Während viel für eine Ausrichtung am Klimaschutz als prioritäres Ziel spricht, hat sich die bisherige Biokraftstoffpolitik jedoch bislang vor allem in der Förderung ländlicher Räume innerhalb der EU effektiv gezeigt. Der Beitrag zur Versorgungssicherheit ist dagegen marginal: Bei inländischem Energiepflanzenanbau wäre eine Umwidmung von beträchtlichen Teilen der Agrarfläche notwendig, um eine Mineralölsubstitution von wenigen Prozent zu realisieren.

„Biokraftstoffe“ konkurrieren mit anderen bioenergetischen Nutzungspfaden, aber auch mit der stofflichen Nutzung von Biomasse um Land und Ressourcen, welche im allgemeinen eine höhere Wertschöpfung ermöglicht. Bei energetischer Verwendung weist für mitteleuropäische Wertschöpfungsketten eine Verstromung mit Kraft-Wärme-Kopplung das höchste Treibhausgasminderungspotenzial sowie die geringsten Mitigationskosten aus, gefolgt von der Wärmeerzeugung. Unter klimapolitischen Gesichtspunkten ist somit für Deutschland ein Fokus auf diese Nutzungspfade zu empfehlen.

„Biokraftstoffe“ stellen zudem eine zusätzliche Nachfrage nach landwirtschaftlichen Gütern und Ressourcen dar, und verschärfen so bestehende ökologische und sozioökonomische Nachhaltigkeitsrisiken der Landwirtschaft. Ein erhöhter Intensivierungs- und Ausweitungsdruck landwirtschaftlicher Produktion ist mit negativen Konsequenzen für Wasserqualität, Böden und Biodiversität verbunden. Auch trägt die Nachfrage nach „Biokraftstoffen“ zu Preisspitzen und erhöhter Preisvolatilität auf globalen Nahrungsmittelmärkten bei, was die Ernährungssicherheit vor allem armer Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern beeinträchtigt.

Während Nachhaltigkeitszertifizierung ökologische Risiken einschränken könnte, bleibt sie wirkungslos gegenüber solchen sozialen Auswirkungen sowie indirekten Landnutzungseffekten. Die in diesem Zusammenhang vielfach geforderte Ausweitung von Nachhaltigkeitsstandards auf die gesamte Landwirtschaft scheint mittelfristig wenig realistisch.

Die Agrarkraftstoffgewinnung aus Lignocellulose und – mit deutlich längerem Zeithorizont – Algen wird mit großen Hoffnungen verbunden, um ökologische Risiken und Nutzungskonkurrenzen einzuschränken und größere Treibhausgaseinsparungen zu realisieren. Zurzeit sind solche Lösungen jedoch noch mit hohen Kosten und Unsicherheiten behaftet, während Lernkurveneffekte durch eine starke Spezialisierung von Technologien nur langsam eintreten werden.

Längerfristig gibt es vor allem im motorisierten Individualverkehrssektor relevante Alternativen zu „Biokraftstoffen“: Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoller, die Förderung auf kurzfristige Effizienzsteigerungen im Verkehr zu konzentrieren, sowie auf Forschung und Entwicklung in den Bereichen Elektromobilität und Biokraftstoffe der 2. und 3. Generation. Letztere können dann eine wichtige Rolle im Flugverkehr, Schiffsverkehr und für Schwerlasttransporte spielen, da hier auch langfristig keine Alternative zu Kraftstoffen mit hoher Energiedichte absehbar ist.

Fazit: Klimapolitisch erscheint es nicht sinnvoll, in Deutschland den Ausbau von „Biokraftstoffen“ für Individualverkehr zu forcieren. Auch der potenzielle Beitrag zur Energieversorgungssicherheit bleibt gering, zumal eine starke Mengenausweitung auf Kosten von Klimaschutz und Nachhaltigkeit gehen würde. Angesichts des hohen Subventionsbedarfs lässt sich die Förderung landwirtschaftlicher Entwicklung als prioritäres Ziel kaum rechtfertigen. Ein Ausstieg aus der mengenorientierten Förderung von „Biokraftstoffen“, welche den Wettbewerb mit anderen Biomassenutzungspfaden systematisch verzerrt, ist daher empfehlenswert. Um den Bestandschutz getätigter Investitionen und das Vertrauen in die Belastbarkeit politischer Vorgaben nicht zu gefährden, sollte ein solcher Politikwechsel jedoch nicht überstürzt geschehen. Eine Reduzierung der Ausbaugeschwindigkeit und die parallele Entwicklung von Nachhaltigkeitsanforderungen wären hier erste Schritte. Die akute E10-Angst sollte daher zum Anlass genommen werden, so schnell wie möglich eine abgestimmte, an Nachhaltigkeit ausgerichtete Gesamtstrategie für europäische Bioenergie zu entwickeln.

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